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Lässt sich mittels Fotografie verklaren, was ein fotografisches Abbild in seinem Wesensgrund ist? Oder spezieller: Worauf gründet der Grund für den fotografischen Datenmüll, der erkalteter Lavaschicht gleich die echten Fragen an das Medium Fotografie versiegelt? Drunten im Abgrund des Grundes gilt es archäologisch zu ergründen, warum es überhaupt Fotografie gibt und nicht vielmehr Nichts?
Technik verspricht, sie habe darauf die schlüssigen Antworten, doch Technik denkt nicht, denn sie kann nicht mit ihren eigenen Mitteln erklären, was sie eigentlich ist. Eine algorithmisch gesteuerte Sehmaschine steuert die Handgriffe eines Fotografen, als sei dieser selbst ein verlängerter Arm des Automaten. In diesem nie gelösten Konflikt mit der Technik steckt ein Fotograf, wenn er als bloßer Datenproduzent sich am Drücker seiner Sehmaschine wähnt, die das tonlose Zweigespräch mit sich selbst blockiert.
Denkt ein Fotograf darüber nach, was er gerade tut, entkoppelt er sich gedanklich aus einem situativen Geschehen. Er ist in diesem Geschehen ein mit sich selbst zwiesprechender „Fremder“, nicht draußen und trotzdem ein teilhabendes Subjekt. Allein schon in dieser Hinsicht trennen sich Automatendrücker von Fotokünstlern. Diese klare Trennung beabsichtigt Technik zu nivellieren und pseudodemokratisch zu egalisieren, als könne jeder Besitzer einer Sehmaschine künstlerisch denken, ohne dass er sich dabei den Kopf zerbricht.
PARIS – POPOVICI
Cornelius Popovicis Schwarzweißfotografien verursachen dem Anseher Kopfzerbrechen. Diese Abbilder haben den Charakter von gedachten Riechbildern. In seinem bildnerischen Erzählstrang über Paris hat Zuckerwatte für die Augen keinen Platz, denn hinter der bourgeoisen Schaufenstergestaltung zeigt die Metropole ihr anderes Gepräge, das sich erst erschließt, wenn das konzentrierte Sehen, Spüren, Riechen, Schmecken der Stadt durch die Ohren dringt, bevor die Intuition eine Entscheidung des Auslösens trifft. Cornelius Popovici kann das, weil er Fotografie denkt.
Die Aura des Blicks eines Clochards in Frankreichs Luxusresort spiegelt die raue Wirklichkeit eines Lebens auf der Straße. In diesem von Popovici fotografierten Portrait ist das Gesicht nicht ein »face«, sondern vielmehr ein Menschenantlitz, das in dieser Intensität aus der zeitgenössischen Fotografie nahezu verschwunden scheint. Im Geschäftsmodell „sozialer“ Medien wird aus einem Menschenantlitz ein ausgestelltes »face« ohne Aura des Blickes. Verstärkt wird diese Zuschreibungsurteil durch Popovicis bildnerisch stotternde Zweiheit des Clochards und zu einem Verzehrding enthäuteter und auf sein Muskelfleisch reduzierter Frosch. Beide fotografierte Existenzen deuten in ihrer Wucht auf das oberste kapitalistische Prinzip der Verwertbarkeit von Mensch und Tier.
NEW YORK – GAVRIAS
Dass nichts ist wie es scheint, davon zeugt die Werkgruppe des Kosmopoliten Konstantinos Angelos Gavrias. In harten Kontrasten zeigt er Schwarzweißaufnahmen von exaltierter Prominenz aus der Kulturindustrie. Diese Härte der Fotografien versinnbildlicht gleichzeitig eine joviale Härte dieser Personen, mit der sie die Karrieresprossen bis in den inneren Kreis des New Yorker Modezirkels gestiegen sind. Gavrias kennt dieses Geschäft mit dem Schein aus eigener Erfahrung, das energetischen Einsatz und eine zähe Leichtfüßigkeit verlangt, um nicht in der hektischen Jagd nach dem Schein zu stolpern.
Im kapitalistischen Nukleus New York wird viermal im Jahr die Kernschmleze ausgerufen, wenn aus Anlass der Fashion Week die Schönen, Reichen und Kreativen aufschlagen und einen Dunst um sich verbreiten. Diese Prominenz wird getrieben von dem absurden Drang, dass Zeit gleich Geld sei, das Geschäft das Geschäft, Stillstand ein inakzeptabler Zustand, das Alter über Hautstraffungen, Botox oder die Zufuhr von frischem Jungblut zu stoppen sei. In diesem Milieu enttabuisierter Zeigefreude seziert Gavrias das Echte aus den Zwangsjacken der Selbstinszenierung, wobei nichts von alldem wirklich ist und nichts an der Maskerade echt, denn das Scheitern, erneut und besser zu scheitern ist das Triebwerk jeder Kreativität. Eine Sinne lähmende Zufriedenheit scheint für diese Protagonisten das Letzte zu sein, das sie als Planziel auf ihre Agenda namens Leben schreiben.
HONG KONG – DUENOW
In den Häuserschluchten von Hong Kong scheint diese Sinnfrage zugunsten der Wettfiebers geklärt. Was zählt ist schnell verdientes Spielgeld und nicht die zähmende Knute von Pekings Partei-Oligarchen. In dieser offenen und mindestens zwei- bis fünfdeutigen Metropole sind Brüche in der Vorstellung eines guten Lebens genauso kapitalistisch durchdrungen wie anderswo, nur ist der „duftende Hafen“ Hong Kong ein anderes Anderswo.
Für einen „stray dog“ ist Hong Kong ein Paradies. Mit dieser Zuschreibung steht Sascha Duenow im Einklang. Zumal es zwei grundlegende Praktiken von Fotografie gibt. Erstere Praktik plant den Kommunikationsprozess des Fotografierens im Stehen. Straßenfotografen hingegen gieren im Getümmel nach Augennahrung und saugen den Pulsschlag einer Stadt unmittelbar in sich auf. Diese weitgehend aus der Mode geratene Methode des Fotografierens ist nichts für scheue und vor Risiken schreckende Zeitgenossen. Duenow kriecht in Löcher, deren Existenz einem fremdelnden Fremden verborgen bleiben. Er wurde mit Drogen betäubt und ausgeraubt. Gerade deswegen hat er Hong Kong in sein Herz geschlossen.
Diese Werkgruppen zeigen drei entschminkte Positionen in purem Schwarzweiß. Vielmehr als die Gemeinplätze Abbild oder Bildsprache aussagen, vermittelt das Blickniveau dieser Arbeiten eine Tiefe, die ein Kopfzerbrechen über das Unzugängliche dieses Mediums voraussetzt.
Fotografie ist schön, macht aber viel Arbeit.
Kurt Schrage

STRANG3RZ – Popovici, Duenow, Gavrias